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Dimitri Lascaris

Dimitri Lascaris – Krise in Griechenland

15. Juli 2015

Dimitri Lascaris – Krise in Griechenland


Dimitri Lascaris (Anwaltskanzlei Siskinds Law Firm) beantwortete Fragen, die ihm acTVism Munich über die Krise in Griechenland stellte. Dimitri Lascaris legt seine Analyse der Abstimmungsergebnisse des griechischen Volksentscheids, der Sparpolitik sowie ihrer Auswirkungen auf die Eurozone vor.

acTVism Munich (aTV): Am 5. Juli 2015 entschied die griechische Bevölkerung per Volksentscheid, ob sie die Vorschläge der Troika, angeführt von Berlin, akzeptieren oder ablehnen sollte. Wie bewerten Sie den Ausgang?

Dimitri Lascaris: In der Woche vor dem Entscheid verlautbarten die Anführer von Deutschland, Frankreich, Italien und der EU, ein „Nein“-Votum laufe auf eine Zurückweisung des Euros durch Griechenland hinaus. Andere EU-Führer, darunter der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz, warnten davor, dass eine Abstimmung mit „Nein“ eine finanzielle Apokalypse in Griechenland herbeiführen würde. Die politische Opposition sowie die korrupte Oligarchie des Landes, welche die griechischen Medien dominiert, bombardierten die Bevölkerung mit hysterischen Behauptungen eines bevorstehenden Untergangs, sollten die „Nein“-Stimmen überwiegen.

Dennoch stimmten mehr als 61 Prozent der griechischen Wähler mit „Oxi“. Angesichts der Umstände war dies eine überwältigende Absage gegen die Sparmaßnahmen. Man kann sich nur vorstellen, wie die Abstimmung ausgegangen wäre, wäre die griechische Bevölkerung nicht wilden Drohungen und Panikmache ausgesetzt gewesen.

Anscheinend ist die Deutlichkeit dieses Sieges in erster Linie der griechischen Jugend zuzuschreiben, die angesichts der verheerenden Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent die „Nein“-Kampagne massiv unterstützt hat.

Trotz des starken „Oxi“-Votums hat die Tsipras-Regierung den Gläubigern Griechenlands nun Bedingungen für Sparmaßnahmen vorgeschlagen, die sogar noch härter als die sind, die von der griechischen Bevölkerung abgelehnt wurden. Sollte dies zu keiner Einigung mit Griechenlands Gläubigern führen, ist der Zusammenbruch der Währungsunion praktisch unvermeidlich.

aTV: In den deutschen Mainstream-Medien finden sich nur selten Details und Analysen der Angebote, die von beiden Seiten während der Verhandlungen gemacht wurden. Können Sie uns sagen, wie genau die Angebote Griechenlands ausgesehen haben und warum sie von den so genannten „Europäischen Partnern“ abgelehnt wurden?

Dimitri Lascaris: Es gab eine Menge Punkte, bei denen sich die griechische Regierung und die Troika uneinig waren, aber die Wichtigsten waren folgende:

Erstens verweigerte die Troika einen Schuldenschnitt, obwohl weitgehend – und selbst vom IWF – anerkannt wird, – dass Griechenlands Schulden in keinem Fall zurückgezahlt werden können. Junker behauptet zwar, als die Verhandlungen abgebrochen wurden und die Volksabstimmung beschlossen wurde, habe schon ein Schuldenschnitt zur Debatte gestanden, aber tatsächlich war das einzige Angebot der Troika im Bezug auf einen Schuldenschnitt eine vage Versicherung, ein solcher werde irgendwann in der Zukunft diskutiert werden. Dasselbe Versprechen machte die Troika 2012 einer vorherigen griechischen Regierung, aber danach wurde nie ein Schuldenschnitt angeboten. Stattdessen hat sich Griechenlands Verhältnis zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt seit 2012 weiter verschlechtert, in erster Linie aufgrund der die Wirtschaft hemmenden Auswirkungen der Sparmaßnahmen. Deshalb sind Griechenlands Schulden heute noch untragbarer als 2012.

Zweitens wollte die griechische Regierung ihre Einnahmen unter anderem dadurch erhöhen, dass sie die Körperschaftssteuer von 26 auf 29 Prozent erhöhte. Sie wollte zudem eine einmalige Sondersteuer auf Unternehmensprofite anordnen. Die Troika bestand darauf, dass die einmalige Unternehmenssteuer überhaupt nicht erhoben und die Körperschaftssteuer nur auf 28 Prozent erhöht wird. Die Begründung der Troika für diese Haltung lautete, dass diese Steuermaßnahmen der griechischen Wirtschaft schaden würden. Dies ist eine lächerliche Begründung, weil die von der Troika verordneten Sparmaßnahmen die griechische Wirtschaft bereits in Trümmer gelegt haben.

Drittens bestand die Troika auf einer zügige Erhöhung des griechischen Rentenalters auf 67 Jahre sowie auf weiteren Rentenkürzungen. Seit 2010 wurden die Renten in Griechenland bereits um mehr als 40 Prozent gekürzt. Ungefähr 45 Prozent der griechischen Rentner leben heute in Armut. Die Behauptung der Troika, das griechische Rentensystem sei über die Maßen großzügig, ist offenkundig falsch. Bei Einberechnung der Altersstruktur der griechischen Bevölkerung liegen die Renten in Griechenland weit unter dem Durchschnitt der Eurozone. Und diese niedrigen Renten werden in einer Gesellschaft gezahlt, in der andere Formen der sozialen Absicherung deutlich schwächer sind als im Rest Europas. So ist das Gesundheitssystem in Griechenland praktisch zusammengebrochen. Das trifft die ärmeren unter den Rentnern, die das Gesundheitssystem oft in Anspruch nehmen müssen, besonders hart.

Viertens wollte die Troika umfangreichere Erhöhungen der griechischen Umsatzsteuer als die griechische Regierung zu akzeptieren bereit war, vor allem auf den griechischen Inseln, wo die Tourismusindustrie einen wichtigen Beitrag zur griechischen Wirtschaft leistet.

Insgesamt hatten die Forderungen der Troika zur Folge, dass die Last weiterer Sparmaßnahmen von den Schultern der Unternehmen und Reichen auf die der griechischen Rentner und Konsumenten umverteilt wurde.

aTV: Wir haben das Gefühl, dass eine Menge von Klischees über die griechische Bevölkerung und Kultur in Umlauf sind. Die vorherrschende Meinung vieler Deutscher – ein Meinung, die von den Mainstream-Medien angeheizt wird – ist, dass die Griechen faule, korrupte Drückeberger sind, die sich weigern, Steuern zu zahlen. Denken Sie, dass das die griechische Kultur richtig beschreibt? Wem nützt eine solche Darstellung?

Dimitri Lascaris: Die Zahlen der OECD zeigen, dass griechische Arbeiter im Schnitt etwa 20 Prozent mehr arbeiten als deutsche Arbeiter. Diese voreingenommene Schilderung der faulen Griechen ist also nachweislich falsch.

Es ist wahr, dass es in Griechenland ein hohes Maß an Korruption und Steuerhinterziehung gibt, aber das wussten die europäischen Eliten bereits, als Griechenland der Eurozone beitrat.

Zudem hat Griechenland kein Monopol auf Korruption und Steuerhinterziehung. Eines der schlimmsten Kapitel der Geschichte europäischer Korruption betrifft das deutsche Großunternehmen Siemens. Und Christine Lagarde selbst, heute geschäftsführende Direktorin des IWF, wurde von den französischen Behörden während ihrer Amtszeit als französische Finanzministerin mit einem Korruptionsskandal in Verbindung gebracht (eine Tatsache, die in der europäischen Finanzpresse kaum erwähnt wird). Wolfgang Schäuble belog 1999 den deutschen Bundestag über seine Beziehungen zu dem verurteilten Waffenhändler Karlheinz Schreiber. Schäuble gab später zu, dass er von Schreiber DM 100.000 in Bar für seine Partei, die CDU, angenommen hatte. Rodrigo Rato, der frühere konservative Finanzminister Spaniens und ehemalige geschäftsführende Direktor des IWF, wurde von den spanischen Behörden wegen Betrugs und Geldwäsche angeklagt. Die Regierung Mariano Rajoys, eines begeisterten Unterstützers von Sparmaßnahmen, ist ebenfalls in einen massiven Korruptionsskandal verwickelt, bei dem es um einen illegalen Bestechungsfonds geht. Der ehemalige Schatzmeister der Parte Rajoys behauptete im Januar dieses Jahres, Rajoy habe über den Bestechungsfonds seit Jahren – und in Wirklichkeit von Anfang an – Bescheid gewusst.

Ich könnte ewig so weitermachen mit Geschichten über Korruption und Steuerhinterziehung durch Politiker und wohlhabende Bürger anderer europäischer Länder als Griechenland. Dieser Aspekt der Berichterstattung über Griechenland ist deshalb äußerst scheinheilig.

Die schlimmste Folge dieser falschen Berichterstattung ist jedoch, dass sie dazu verwendet wird, die kollektive Bestrafung des griechischen Volks zu rechtfertigen. Die Steuerhinterzieher in Griechenland sind in erster Linie die Reichen, die Sparmaßnahmen schaden jedoch in erster Linie der Arbeiterklasse, den Armen und der Jugend. Studenten sind keine Steuerhinterzieher, denn sie studieren ja und haben gar kein Einkommen. Arbeitern werden die Steuern an der Quelle abgezogen, weshalb sie wenige bis gar keine Möglichkeiten der Steuerhinterziehung haben. Die Armen haben per Definition gar nicht genügend Einkommen, um in nennenswertem Ausmaß Steuern zu hinterziehen, wenn überhaupt. Dennoch hat niemand mehr unter den Sparmaßnahmen gelitten als diese drei Gruppen.

Kollektivstrafen stellen nach der Vierten Genfer Konvention ein Kriegsverbrechen dar, und genau dazu hat die falsche Berichterstattung über Griechenland jetzt geführt bzw. beigetragen.

Ein Aspekt dieser falschen Schilderungen ist die Auffassung, dass sich Deutschland „an die Regeln hält“, während die Griechen das nicht tun. Wie der deutsche Ökonom und ehemalige Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Heiner Flassbeck bemerkt, wurde die Eurozone mit einem Inflationsziel von zwei Prozent etabliert. In der darauffolgenden Dekade missachtete Deutschland dieses Inflationsziel häufiger als jede andere Nation in der Eurozone. Dies geschah, indem die Löhne der Arbeiter niedrig gehalten wurden, was wiederum deutsche Produkte im Vergleich zu denen der Länder am Rand der Eurozone billiger machte. Dies resultierte in einem massiven deutschen Außenhandelsüberschuss, und die Merkel-Regierung weigert sich nun, diesen an die ärmeren Verbraucherregionen der Eurozone zurückfließen zu lassen. Dies führte zudem zu einer Abwärtsspirale in Sachen europäische Löhne. Alle europäischen Arbeiter, auch die deutschen, leiden unter der schlecht durchdachten Politik eines systematischen Drucks auf die Löhne.

aTV: Lassen Sie uns einen Schritt zurücktreten und über die Ereignisse sprechen, die zur Volksabstimmung geführt haben. Was halten Sie von Syrizas Strategie im Umgang mit der Euro-Gruppe/Troika? Hätten die Vertreter von Syriza die Auswirkungen minimieren können, wenn sie das Ganze anders angegangen wären?

Dimitri Lascaris: Ich glaube Syrizas Strategie, wenn man es denn als solche bezeichnen kann, war ein Desaster für Griechenland. Syriza bestand von Anfang an darauf, die untragbaren Schuldverpflichtungen Griechenlands zu erfüllen und das Land auf jeden Fall in der Eurozone zu halten. Das war ein fundamentaler Fehler. Die fehlende Möglichkeit Griechenlands, seine Währung zu kontrollieren, hat das Land der Alternative beraubt, durch eine Abwertung der eigenen Währung wieder wettbewerbsfähig zu werden. Stattdessen waren frühere griechische Regierungen immer wieder dazu gezwungen, sich auf den Teufelskreis einer internen Abwertung einzulassen, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen.

Darüber hinaus unterminierte die griechische Regierung ihre Verhandlungsposition gegenüber ihren Gläubigern, indem sie eine Einstellung der Zahlungen und einen Grexit von vornherein ausschloss. Gleichzeitig schlug die griechische Regierung aber einen sehr aufrührerischen Ton an. Wenn man nicht bereit ist, mit harten Bandagen gegen seine Gläubiger zu kämpfen, sollte man sie nicht mit einer solchen Sprache provozieren.

Während all dessen hat sich die Syriza-Partei durch ihre irrationale Fixierung auf den Euro selbst die Möglichkeit genommen, sich auf die enorm komplizierte und zeitaufwendige Aufgabe der Einführung einer neuen Währung vorzubereiten. Vielleicht wird der Grexit Griechenland letztendlich aufgezwungen, aber die Syriza-Regierung ist darauf bedauerlicherweise unvorbereitet. Doch falls die Regierung sich dafür entscheidet, einen Grexit durch Kapitulation vor den Forderungen der Gläubiger zu vermeiden wird sie dem griechischen Volk die Schmerzen des Bankensturms und der Kapitalkontrollen umsonst zugemutet haben.

aTV: Was passiert als nächstes in Griechenland, und wie sehen die weitreichenden Folgen aus? Denken Sie, dies wird Griechenland und anderen Europäischen Nationen, die sich demselben Dilemma ausgesetzt sehen, neue Wege aufzeigen?

Dimitri Lascaris: Ich denke, ein unkoordinierter Grexit ist das wahrscheinlichste Szenario. Die Einstellungen der europäischen politischen Elite gegenüber Griechenland haben sich verhärtet, und ich zweifle daran, dass Syriza Griechenlands Platz in der Eurozone noch länger bewahren kann. Ein Grexit ist auf lange Sicht die beste Option für Griechenland, aber Syrizas fehlende Vorbereitung wird die kurzfristigen Schmerzen, die ein Grexit verursachen wird, massiv verschlimmern.

Sollte es Griechenland gelingen, diese Schmerzen zu überwinden und nicht (was durchaus eine Möglichkeit ist) als gescheiterter Staat zu enden, sollten sich anschließend die Aussichten für das Land deutlich bessern. Mit einer abgewerteten Währung und der Wiederherstellung der monetären und finanziellen Souveränität sollte die griechische Wirtschaft kräftig wachsen, wie es in Argentinien geschah, nachdem es seine Zahlungsunfähigkeit erklärte und die Anbindung seiner Währung an den US-Dollar beendete. Zudem hätte die griechische Regierung dann die Möglichkeit, soziale Initiativen in die Wege zu leiten, um diejenigen zu unterstützen, die von der Krise am meisten betroffen sind.

Sollte all das eintreffen, wird es vielleicht auch andere Völker der Eurozone dazu inspirieren, sich Sparmaßnahmen zu widersetzen und möglicherweise den Euro zu verlassen.

Was auch immer in Griechenland in naher Zukunft geschieht, glaube ich nicht, dass die Eurozone in ihrer jetzigen Form viel länger überleben wird. Die Eurozone ist strukturell falsch angelegt, und diese Fehler können nur durch wesentlich größere politische und wirtschaftliche Integration angegangen werden. Doch was die stärkere Integration angeht, hört man von den europäischen Führern lediglich Lippenbekenntnisse. In Wirklichkeit gibt es bei ihnen wenig bis überhaupt keinen politischen Willen zu mehr Integration. Aus diesem Grund werden die strukturellen Fehler der Eurozone unweigerlich zu ihrem Zusammenbruch führen.

aTV: Wie können die Bürger Europas, die dieses Interview lesen, diejenigen unterstützen, die unter der andauernden Krise leiden? Und was werden Ihrer Meinung nach die Folgen sein, wenn die Menschen in Europa es nicht fertigbringen, nach diesen Ereignissen eine gemeinsame Haltung einzunehmen?

Dimitri Lascaris: Massenhafter Widerstand gegen Sparmaßnahmen ist meiner Meinung nach der einzig mögliche Ausweg für die Griechen und ganz Europa. Die Armen sowie die Arbeiterschaft Europas müssen verstehen, dass sie einen gemeinsamen Feind haben: die finanzielle und politische Elite Europas, die ihre Entscheidungen nur aufgrund ihrer eigenen beschränkten Interessen und ohne Rücksicht auf die negativen Auswirkungen für die Bevölkerung treffen.

Vor allem müssen die Armen und die arbeitende Bevölkerung in Europa begreifen, dass sie alle in einer Abwärtsspirale gefangen sind, die vor Jahren von einer angeblich sozialdemokratischen Regierung in Deutschland eingegleist worden ist. Im Moment fährt die europäische Elite jedoch erfolgreich mit einer Strategie des „Teile-und-Herrsche“. Sie hat die deutschen, finnischen, holländischen und slowakischen Arbeiter gegen die griechischen Arbeiter aufgebracht. Sie ist der Grund, weshalb die arbeitenden Völker Europas einander als Feinde betrachten.

Erst wenn die Armen und die Arbeiterklassen Europas vereinten Widerstand gegen die Sparmaßnahmen leisten, wird das neoliberale Ungeheuer besiegt werden.

aTV: Danke für Ihre Zeit!

Dimitri Lascaris: Gerne!


ÜBER DIMITRI LASCARIS

Dimitri Lascaris ist ReEdited_Lascaris_Dimitrichtsanwalt bei der Anwaltskanzlei Siskinds und Chef der Siskinds Securities Class Actions Group. Bevor er zu Siskinds kam, praktizierte Lascaris Sicherheitsrecht in den New Yorker und Pariser Büros einer großen Wall-Street-Anwaltskanzlei.

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