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Conrad Schuhler

Conrad Schuhler – Tod oder Wiedergeburt der EU?

9. Juli 2015

Conrad Schuhler (Institut für Sozial-ökologische Wirtschaftsforschung) beantwortete Fragen, die ihm acTVism Munich über die Krise in Griechenland stellte. Er legt seine Analyse der Abstimmungsergebnisse des griechischen Volksentscheids, der Sparpolitik sowie ihrer Auswirkungen auf die Eurozone vor. 


acTVism Munich (aTV): Die Resultate der Volksabstimmung in Griechenland wurden bekannt gegeben. Können Sie kurz umreißen, wie es zu dieser Situation kommen konnte und wie sich diese Entscheidung auf Griechenland und auf Deutschland im Allgemeinen auswirken wird?

Conrad Schuhler (CS): Das Resultat muss man festhalten: 61 % der Griechen unterstützten die Position ihrer Regierung, Nein zu sagen zu dem Spardiktat aus Brüssel. Die griechische Regierung hat Im April und Mai 2015 Zins- und Tilgungszahlungen an die Geldgeber in Höhe von 7 Milliarden Euro gezahlt. Am 22. Juni haben die Griechen zugestimmt zu einer weiteren Anhebung der Mehrwertsteuer und einer schrittweisen Einschränkung der Frühverrentungen und Zusatzrenten. Das war den Geldgebern – der EU, der EZB und dem Internationalen Währungsfonds – aber nicht genug. Man verlangte am 29. Juni u.a., die Sozialausgaben um weitere 900 Millionen Euro zu kürzen. Die Rentner sollten weitere Kürzungen hinnehmen. Die Steuererhöhung für Gewinne oberhalb von 500.000 Euro um 12 % wurde von den „Institutionen“ abgelehnt. Die Richtung war klar: Der Syriza-Regierung sollte gezeigt werden, dass sie nur die Wahl hat, zu Kreuz zu kriechen und das Spardiktat zu akzeptieren, oder sie wird plattgemacht. In diese Erpressungssituation wurde das griechische Volk nun eingebunden, denn man hoffte, das Wahlvolk würde dem Verdikt folgen: Stimme zu oder werde ruiniert. Die Griechinnen und Griechen haben eine enorme Leistung für alle Europäer erbracht: Es gibt eine Alternative, wir sagen Nein und wir kämpfen dafür.

aTV: Wie, denken Sie, wird sich das Verhalten von Syriza auf die Meinungen zu linken Parteien wie „Podemos“ in Spanien oder „die Linke“ in Deutschland auswirken?

Conrad Schuhler (CS): Die Menschen in Griechenland haben ihr Nein gesagt, ohne zu wissen, was sie damit genau auslösen und was morgen sein wird. Die Leute haben sich aber gesagt und sagten es allen anderen: Wir haben dieses Diktat aus Brüssel, angeführt von Berlin, satt. Wir machen nicht mehr mit. Wir fordern ein Europa für die Menschen und nicht für Finanzmärkte und Technokraten. Wir brauchen eine europäische Politik für die arbeitenden Menschen, für die Armen, die Bedürftigen. Dieser Aufruf wird haften bleiben. Er ist ein gewaltiges Signal für alle, die sich eine menschliche statt einer „marktkonformen“ Gesellschaft wünschen. Insofern ist das „Nein“ der Griechen eine große Ermutigung für Bewegungen wie „Podemos“ oder „die Linke“. Jetzt müssen wir aber sehen, wie es weitergeht. Die „Institutionen“ werden alles daran setzen, Athen doch in die Knie zu zwingen. Es wird kein Geld der EZB mehr geben, die sogenannten ELA-Kredite wurden gedeckelt, die Banken Griechenlands werden in die Insolvenz gehen. Der Staat Griechenland wird seine in den nächsten Wochen und Monaten fälligen Milliarden-Schulden nicht zahlen. Damit steht er vor der Staatspleite. Private Geldgeber wird es keine geben, andere Staaten liegen auf der Lauer, die Syriza-Regierung in die Wüste zu schicken. Sie wollen demonstrieren: Es gibt keine Möglichkeit, unserer Sparpolitik zu entweichen. Deshalb müssen sich die Linke in Deutschland, Podemos in Spanien und alle Linken europaweit in den nächsten Wochen und Monaten um das Schicksal der Griechen kümmern. Es geht um Griechenland, aber auch um die Zukunft ganz Europas.

aTV: In Ihrem Artikel „Mit Schwung in den nächsten Absturz?“ von 2010 haben Sie geschrieben: „Griechenland hat sich nicht zuletzt deshalb bis zum Offenbarungseid verschuldet, weil es die Importüberschüsse aus Deutschland bezahlen musste.“ Können Sie diesen Punkt für unsere Leser näher erläutern?

CS: Eine Währungsunion wie die Euro-Zone ist für die Länder mit der höchsten Arbeitsproduktivität und den relativ niedrigsten Löhnen ideal. Die anderen Länder können sich ja nicht mehr über eine Absenkung ihrer Währung wehren. In Griechenland sind die Lohnstückkosten von 1999 bis 2008 um 28 % gestiegen. In Deutschland bloß um 8 %. Das Lohndumping in Deutschland hat geholfen, die anderen Länder in den Handelsbilanzen nach unten zu stoßen. Allein gegenüber Griechenland, Spanien und Portugal hat Deutschland von 2000 bis 2009 einen Exportüberschuss von 220 Milliarden Euro erzielt. In demselben Ausmaß mussten sich diese Länder gegenüber Deutschland verschulden. Deutschland ist der große Nutznießer des Euro und heute auch der Verschuldung der anderen. Sie ziehen vor allen anderen die Zinsen und Tilgungen ein. Heute sind die übrigen Euro-Staaten für Deutschland nicht mehr vor allem als auszuplündernder Binnenmarkt interessant, sondern vor allem als breites Sprungbrett für die globale Expansion.

aTV: Sie schreiben auch: „Nun wird an Griechenland vorexerziert, was ´Deutschland´ und andere Überschuss-Länder von ihren Schuldnern erwarten. Alle Renten werden eingefroren, alle Massensteuern werden erhöht, Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden um 30 % gekürzt. Das Volk muss bluten, damit die Schulden an das reiche Ausland – und die eigenen Reichen bezahlt werden. In Portugal, Spanien und anderen Schuldnerländern wird das so weitergehen. Griechenland ist ein Probelauf. Auch für das Schuldnerland Deutschland. Wenn Griechenlands Rentner, Beschäftigte, Sozialhilfeempfänger ihr Opfer bringen mussten, wieso nicht auch die Deutschen?“

Theoretisch steht Deutschland also vor demselben grundlegenden Problem der Schuldentilgung. Denken Sie, uns könnte irgendwann ein ähnliches Schicksal ereilen oder werden wir durch Lohndumping weiterhin einen Exportüberschuss erwirtschaften?

Conrad Schuhler (CS): Griechenland ist ein Probelauf für ganz Europa. Zum einen geht es um die Schulden. Die Euro-Eliten wollen derzeit durchsetzen, dass Löhne und Sozialausgaben gedrückt werden, um die Schulden abzubezahlen. Die sind aber gar nicht rückzahlbar. In Deutschland haben wir Staatsschulden von mehr als 2 Billionen Euro. Wenn die mit Zins- und Tilgungsraten zurückgezahlt werden sollen, können wir damit die Zukunft der nächsten Generation streichen. Damit die Banken und die großen Geldgeber ihr Vermögen weiter aufblähen können. Die Idee, Deutschland könnte das über weitere Exportüberschüsse stemmen, ist völlig daneben. Jeder Überschuss bedeutet eine Verschuldung anderswo. Das globale System ist insofern von globaler Dummheit. Und zu meinen, wir Deutschen könnten uns den Vorsprung über weiteres Lohndumping sicher, ist genauso dumm. Wir stehen dann in Konkurrenz zu China, Indien oder Brasilien. Wenn wir da von der Lohntiefe mithalten wollen, begeben wir uns in Bamberg oder Berlin auf das Niveau von Bombay oder Shanghai. Von der Arbeitsproduktivität her haben China, Indien oder Brasilien zu uns aufgeschlossen. Die Zukunft kann nicht im Niederkonkurrieren liegen, sondern in einer universalen Kultur des friedlichen Miteinanders und des Grundsatzes der sozialen Gleichheit.

aTV: Welche Argumente halten Sie simplifizierten Stammtischparolen wie „Wir zahlen für die faulen Griechen“ entgegen?

CS: Eine solche Parole ist nicht zu simpel, sie ist doofer Rassismus. Es geht nicht um „Griechen“ hier und „Deutsche“ dort. Die Teilung geht quer durch die Gesellschaften. Die Quandts von BMW, die Piechs und Porsches von VW und Audi, die wechselnden Herren der Deutschen Bank haben mit den griechischen Reedern mehr gemein als mit den deutschen Arbeitern, Angestellten, Rentnern. Es gibt eine Clique des großen Geldes und die übersteigt nationale Grenzen. Und wir brauchen eine Solidarität der arbeitenden Menschen. Dass 30 % der Arbeitswilligen in Griechenland ohne Arbeit sind, hat nichts damit zu tun, dass sie faul wären, sondern damit, dass sie keine Arbeit finden. Es gibt einen organisierten Investitionsboykott der Reichen, womit die linke Regierung aus dem Amt gefegt werden soll. Alle die meinen, Gesellschaften sind nicht dazu da, die Ansprüche der Reichen und ihrer politischen Handlanger zu bedienen, sollten sich einig sein in der Unterstützung des griechischen Volkes.


ÜBER DEN AUTOR:

Conrad Schuhler, Diplom-Volkswirt, studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten München (LMU), Manchester, Yale und Berkeley. Seit 2004 leitet er das Münchner Institut für Sozial-ökologische Wirtschaftsforschung.


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